Analyse & Kommentar: WKO-Wahlen in Wien – Ein Plädoyer für ein neues Wirtschaftskammerwahlrecht
Einheitslisten auf denen der Wirtschaftsbund (ÖWB) und der Sozialdemokratische Wirtschaftsverband (SWV) in manchen Fachgruppen gemeinsam angetreten sind – teils auch mit dem Ring freiheitlicher Wirtschaftstreibender (RfW). Zurechnungen von Stimmen, an eine Fraktion, die der Unternehmer nicht gewählt hat. Und ein Streit um das eine wahre Wahlergebnis der Wirtschaftskammerwahl in Wien. Eine Aufklärung.
Der erste Eindruck zählt
Es ist der 27. Februar, der Tag nach der Wahl. Gespannt warten Unternehmer und Interessierte auf das Ergebnis. Zuvor machen Gerüchte die Runde, der ÖWB hätte in Wien stark eingebüßt. Von nur mehr 40% war zu hören. Dann aber veröffentlichte die WKO das vorläufige Endergebnis. Und siehe da: Der ÖWB erreicht in Wien 50,6%. Ein Plus von 0,3% im Vergleich zur letzten Wahl vor 5 Jahren.
Die absolute Stimmenmehrheit des ÖWB steht in Wien seit 15 Jahren auf wackligen Beinen. Aber sie steht. Und das, obwohl die Vorzeichen diesmal ganz anders standen. Mit den UNOS kandidierten heuer erstmals die NEOS bei der Wirtschaftskammerwahl. Die UNOS wollten EPU mobilisieren und haben sich beachtlich geschlagen – vor allem in Wien. Noch dazu war die Grüne Wirtschaft durch intensive Nutzung von sozialen Medien im Wahlkampf so präsent wie nie.
Doch das alles ist für die Masse belanglos. Was zählt, ist der erste Eindruck, das erste Ergebnis. Und das besagt: Der ÖWB baut seine Absolute in Wien aus. So steht es in DER STANDARD, Die Presse und auf ORF.at. Die absolute Mandatsmehrheit des ÖWB im Wirtschaftsparlament stand ohnedies nie auf dem Spiel. Es ging um die absolute Stimmenmehrheit. Medial wurde der ÖWB in Wien als Wahlsieger wahrgenommen. Für die meisten Nicht-Unternehmer und Semiinteressierten bleibt dieses Bild und sie befassen sich nun mit Neuem.
Wohin mit der Stimme? – Wir basteln eine Einheitsliste!
Vor noch nicht mal einem Jahr haben der SWV Wien und die Grüne Wirtschaft den „Kampf um Wien“ verkündet. Dieser Kampf wirkt im Nachhinein wie ein Schmäh, wenn man sich vor Augen führt, dass der SWV in einigen Fachgruppen gemeinsam mit dem ÖWB und auch mit dem RfW angetreten ist. Man stelle sich vor, es ist die Stimme eines sozialdemokratischen Wiener EPU, die dem ÖWB ein weiteres Mandat in der Fachgruppe beschert. Dieses eine Mandat stärkt den ÖWB in der Spartenvertretung und Spartenkonferenz – bis hinauf ins Wirtschaftsparlament. Und so wird aus dem sozialdemokratischen Wiener EPU ein tatkräftiger Unterstützer schwarzer Machtverhältnisse.
Warum basteln die Fraktionen solche Einheitslisten? Sie erhoffen sich mehr Mandate. Auch haben sie oft zu wenig Kandidaten, um alleine zu kandidieren. Das Ziel ist eine Win-win- oder auch eine Win-win-win-Situation. Betrachtet man nur die jeweilige Fachgruppe, ergibt die Einheitsliste schon Sinn. Denn in einer Fachgruppe sollte Parteipolitik kaum eine Rolle spielen. Im Wirtschaftsparlament spielt sie hingegen eine Rolle. Und es ist für den Wähler nicht ersichtlich, welchen Weg seine Stimme bis dorthin gegangen ist. Nachvollziehen können das bloß jene Fraktionen, die mit den abgegeben Stimmen jonglieren, als wäre die WKO-Wahl ein alle 5 Jahre wiederkehrender Zirkus.
Zugerechnete Stimmen – wer fragt gewinnt!
Kurz nach Bekanntgabe des vorläufigen Endergebnisses durch die WKO rumorte es heftig. Stimmen wurden zugerechnet. Der ÖWB habe sich Stimmen zugerechnet. Der RfW habe seine Stimmen einer anderen Fraktion geschenkt. Am 3. März hat die WKO ein „offizielles Wahlergebnis der Wirtschaftskammer-Wahl in Wien“ veröffentlicht und dem ÖWB, dem SWV und der Grünen Wirtschaft Stimmen zugerechnet. Dazwischen gab es noch zwei weitere Wahlergebnisse, wo keine, beziehungsweise ein paar Stimmen zugerechnet wurden. Die Verwirrung war perfekt.
Am meisten Aufsehen erregte die Zurechnung von 1080 Stimmen des RfW zum ÖWB. Wie kam das zustande? RfW-Wien-Landesvorsitzender Detlev Neudeck erklärt es dem KURIER gegenüber so: „Der Wirtschaftsbund war die erste Fraktion, die gefragt hat, ob sie die Stimmen haben kann, der SWV hat gar nicht gefragt.“ Wie es scheint, sind dem SWV satte 1080 Stimmen durch die Lappen gegangen. Hätte er doch bloß gefragt.
Grüne Wirtschaft und UNOS kritisieren dieses Vorgehen noch heute scharf. In einer Presseaussendung rechtfertigt sich der ÖWB Wien folgendermaßen: „Damit die Stimmen der RfW Wähler, die ohne Vertretungsmandat geblieben sind, nicht verloren gehen und deren Interessen gewahrt bleiben, hat der RfW von der im Wirtschaftskammergesetz verankerten Möglichkeit Gebraucht gemacht, diese Stimmen dem Wirtschaftsbund Wien zurechnen zu lassen.“
Die Folge: Wähler des RfW Wien haben zu einem großen Teil den ÖWB gewählt – ohne es zu wissen. Eine Fraktion, die meint, die Interessen ihrer Wähler seien vom viel größeren ÖWB ebenso vertreten, sollte ihre Existenzberechtigung hinterfragen. Aber glaubt man dem RfW, so standen die Stimmen nach der Wahl zur freien Verfügung. Jeder hätte sie haben können – sofern er danach fragt. SWV. Grüne Wirtschaft, UNOS: Sie alle hätten sich Wahlzettel, auf denen Unternehmen ihr Kreuz bei „RfW“ gezeichnet haben, einverleiben können. Demokratisch sieht anders aus.
Stimmenzurechnung – möglich oder doch nicht?
Ich sage: Das ist seltsam. Leonidas würde sagen: Das ist Sparta! Der ÖWB sagt, alles sei „transparent, korrekt und gemäß dem Wirtschaftskammergesetz“. Die Sache ist die: Keiner der unzähligen Absätze des 151 Paragrafen umfassenden Wirtschaftskammergesetzes regelt eine Zurechnung von Stimmen. Laut Gesetz gibt es keine Zurechnung von Stimmen.
Ausdrücklich erlaubt ist laut Gesetz bloß die Zurechnung von errungenen Mandaten. Der RfW hat dem ÖWB aber keine Mandate zurechnen lassen – sondern lediglich jene Stimmen, mit denen der RfW selbst keine Mandate erreichen konnte. Diese 1080 Stimmen, die dem RfW keinen Erfolg brachten, könnten dem ÖWB wiederum Mandate bescheren.
Der ÖWB schreibt von einer „im Wirtschaftskammergesetz verankerten Möglichkeit“. Nur diese Möglichkeit steht dort nirgends. Selbst eine Vereinigung des RfW mit dem ÖWB wäre – wie die Zurechnung von Mandaten – nur möglich, wenn in den jeweiligen Fachgruppen vom RfW zumindest ein Mandat erreicht wurde. Und beides, Zurechnung wie Vereinigung, ist für die jeweiligen Fachgruppen selbst irrelevant. Die Zurechnung von Mandaten und die Vereinigung von Wählerlisten sind für die Besetzung der höheren Organe der Wirtschaftskammer von Bedeutung: Spartenvertretung, Spartenkonferenz und Wirtschaftsparlament.
Fazit
Wen du wählst ist eine Sache. Wer deine Stimme bekommt, eine andere. Und wer dank deiner Stimme im Wirtschaftsparlament sitzt, ist nochmal eine ganz andere Sache. Fragwürdige Wahlergebnisse, Einheitslisten, dubiose Zurechnungen von Stimmen, die im Wirtschaftskammergesetz mit keinem Wort erwähnt werden: All das schreit nach einem neuen, einem transparenten, einem demokratischen Wirtschaftskammerwahlrecht.
Zum Nachlesen und Kommentieren:
WKO-Wahlen Wien 2015: Eine Wahl – vier Ergebnisse. Jeder gewinnt – Was sagen Sie dazu? »
UWEB-Serie zum WKO-Wahlrecht von Benjmain Kloiber:
Das Wirtschaftskammerwahlrecht – Folge 8: Frau Leitz will kandidieren. » (erschienen am 19.11.2014)
Das Wirtschaftskammerwahlrecht – Folge 7 : Herr Huber will kandidieren » (erschienen am 14.11.2014)
Das Wirtschaftskammerwahlrecht – Folge 6: Wer hat, dem wird gegeben! Ein Kommentar von Benjamin Kloiber. » (erschienen am 23.09.2014)
Das Wirtschaftskammerwahlrecht – Folge 5: Frau Löscher geht wählen » (erschienen am 17.09.2014)
Das Wirtschaftskammerwahlrecht – Folge 4: Undemokratisch und mehrheitssichernd? » (erschienen am 09.09.2014)
Das Wirtschaftskammerwahlrecht – Folge 3: So wird der WKO-Präsident bestimmt! » (erschienen am 03.09.2014)
Das Wirtschaftskammerwahlrecht – Folge 2: Warum die Stimme eines Bankiers 85-mal mehr als die eines Gärtnereibereibers zählt! » (erschienen am 27.08.2014)
Das Wirtschaftskammerwahlrecht – Folge 1: Wer wen und was wählt! » (erschienen am 20.08.2014)
Quellen:
https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10007962
http://wirtschaftsblatt.at/home/4676442/Streit-um-Stimmen-die-nicht-viel-aussagen
http://derstandard.at/2000012266090/WK-Wahlen-Gruene-im-Aufwind-Sozialdemokraten-stabil
http://wien.orf.at/news/stories/2697581/
https://nzz.at/s/hiS3A-mjW0-0-aKA/