Die brüchige Mitte der Gesellschaft – EPU als Phänotypen
Der Soziologe Heinz Bude beschreibt in seinem Buch „Gesellschaft der Angst“ eine interessante Tatsache, die vor allem die Mittelschicht betrifft und die von vielen PolitikerInnen praktisch komplett ausgeblendet wird. Es geht um Brüche in den Biografien von Menschen, die eigentlich zur Mittelschicht gehören. EPU (= Einpersonenunternehmen) sind dabei oft unfreiwillig Protagonisten.
Bude schreibt von Heerscharen von Architekten, die noch nie in ihrem Beruf gearbeitet haben, von gar nicht wenigen Apothekern, die Pleite gemacht haben und von Universalanwälten, die sich mit Allerweltsvorgängen gerade über Wasser halten. Der Stundenlohn von 4,4 Millionen Selbstständigen in Deutschland lag 2014 bei gerade einmal 8,50 Euro. Darunter sind nicht nur Friseure, Kioskbesitzer und Kneipiers, sondern eben auch Anwälte, Architekten, freischaffende Künstler, Übersetzer und Dozenten. Damit bildet sich laut Heinz Bude eine Form des prekären Wohlstands in der Mitte der Gesellschaft aus, von der Leute betroffen sind, die genauso gut im saturierten oberen Teil der Mittelklasse gelandet sein könnten.
Harte Arbeit bedeutet nicht gleichzeitig Wohlstand
Bude zeigt, dass hart arbeiten nicht mehr unbedingt mit Wohlstand verschränkt ist. Das war zuerst an den Rändern der Gesellschaft zu sehen, bei Menschen mit Migrationshintergrund. Das waren die ersten die als Selbständige, ausgestattet mit sehr wenigen Freiheitsgraden, sehr viel gearbeitet haben. Die berühmten selbständigen Paketfahrer (als EPU = Einpersonenunternehmen) sind ein bekanntes Beispiel dafür. Doch diese Entwicklung macht offenbar nicht nur vor Randgruppen halt.
Architekten sind in Wien ein anderes Beispiel dafür, wie Akademiker als Freie Dienstnehmer fernab ihres „eigentlichen“ Einkommens arbeiten. Vor Architekturwettbewerben, die eigentlich immer anstehen, brechen alle Dämme in Punkto Arbeitszeit, wenn es großteils unter dem Titel „Selbstausbeutung“ geführt wird. Diese Tendenz, Menschen unter ihrem Wert zu bezahlen treibt mittlerweile seltsame und ganze Branche betreffende Blüten. Es sind in vielen Fällen die großen Unternehmen, die davon am meisten profitieren.
EPU – eine erfolgreicher Weg in die eigene Zukunft?
Wie viele EPU und KleinstunternehmerInnen unter unseren LesernInnen kennen mittlerweile diesen ruinösen Wettbewerb? „Darunter sind nicht nur Friseure, Kioskbesitzer und Kneipiers, sondern eben auch Anwälte, Architekten, freischaffende Künstler, Übersetzer und Dozenten“, um noch einmal den Soziologen Bude zu zitieren.
Nun kann man also die Frage stellen, ob denn die Regierungen quer durch Europa nicht besser auf solche Entwicklungen schauen sollten? Das bringt vielleicht vordergründig keine Wähler, schafft aber mittel- und langfristig Stabilität in der Gesellschaft. Ein entscheidender Faktor für einen breiten Wohlstand. Das Verantwortungsbewusstsein der Regierenden ist also gefragt.