Wirtschaftskammerwahlrecht – Folge 6: Wer hat, dem wird gegeben! Ein Kommentar von Benjamin Kloiber.
„Denn wer da hat, dem wird gegeben, dass er die Fülle habe; wer aber nicht hat, dem wird auch das genommen, was er hat.“ (Matthäus Kapitel 13 Vers 11-15)
Ein mehrheitsförderndes Verhältniswahlrecht
Der Matthäus-Effekt ist bei einem Mehrheitswahlrecht gewollt – bei einem Verhältniswahlrecht aber untypisch. Die Wahlen der Wirtschaftskammer (WKO) erfolgen nach einem Verhältniswahlrecht und dennoch tritt der Effekt ein. Wie das? Nur die Fachgruppen werden direkt gewählt, alle übrigen Organe – bis hinauf zum WKO-Präsidenten – indirekt.
WKO-Wahl ist wie Gemeinderatswahl
Man stelle sich vor: Der WKO-Präsident sei Kanzler, das Wirtschaftsparlament der Nationalrat, die 7 Sparten die 9 Bundesländer, die Spartenvertretungen die Landtage und die
elen Fachgruppen die Gemeinden. Und direkt gewählt würde nur der eigene Gemeinderat.
Würde sich der Nationalrat auf Grundlage der Gemeinderatswahlen bilden, hätten SPÖ und ÖVP locker eine Zweidrittelmehrheit. Grüne und FPÖ wären schwach, fast bedeutungslos. Wie bei Gemeinderatswahlen üblich, würden sie in vielen Gemeinden nicht antreten, da sie oft ohne Chance wären. Schließlich sind die großen Parteien selbst in den kleinsten Gemeinden fest etabliert. Noch keiner anderen Partei ist es gelungen, deren Vorherrschaft zu brechen.
Würden auch Spartenvertreter, Spartenkonferenz und Wirtschaftsparlament direkt gewählt, so würden kleinere Wählergruppen profitieren – selbst wenn die Stimme eines Bankiers mehr zählt, als die eines Gärtners.
Kleine Wählergruppen gehen verloren
Zwar gibt es Minderheitenmandate; doch diese werden den ursprünglichen Mandaten hinzugerechnet. Dadurch verhindern sie den Matthäus-Effekt nicht zur Gänze.
In den Spartenvertretungen ist das Ergebnis der Urwahl nicht mehr 1:1 abgebildet. Es beginnt in den Fachgruppen. Tritt eine Wählergruppe nur in wenigen Fachgruppen an, kommt sie nicht in die Spartenvertretung und damit ins Wirtschaftsparlament. Die einzige Chance ist, sich mit einer großen Wählerliste zu vereinigen.
Ein transparenter Berechnungsschlüssel muss her
Klar ist: Würde die Stimme eines Trafikanten genauso viel zählen, wie die Stimme eines Spediteurs oder Versicherungsunternehmers, wäre die wirtschaftliche Bedeutung der Branchen nicht abgebildet – und die WKO dadurch ohne Sinn.
Laut WKO-Gesetz müssen die Anzahl der Mitglieder und die wirtschaftliche Bedeutung Einfluss auf den Sparten-Wahlkatalog haben. Da dieser seit 2005 unverändert ist, müsste man davon ausgehen, die Anzahl der Mitglieder und die wirtschaftliche Bedeutung seien ebenfalls unverändert. Dem ist nicht so.
Das Fehlen eines einheitlichen und verständlichen Berechnungsschlüssels sorgt für Intransparenz und Misstrauen. Ist der Sparten-Wahlkatalog nicht nachvollziehbar und öffentlich(!), bietet man Kritikern eine Angriffsfläche: Warum ändert sich nichts seit 2005? Will der ÖWB seine Mehrheit sichern?
Ein Berechnungsschlüssel muss her, bei dem klar geregelt ist, wie die Anzahl der Mitglieder und die wirtschaftliche Bedeutung einer Sparte zu einer Mandatszahl führen.
Ein Appell
Die international bewunderte österreichische Sozialpartnerschaft steht und fällt mit der WKO. Gemeinsam mit der Landwirtschaftskammer, der Arbeiterkammer und dem Österreichischen Gewerkschaftsbund ist sie mitverantwortlich für den sozialen Frieden. Um auch in Zukunft von Bedeutung zu sein, muss die WKO wieder an Legitimität gewinnen, muss also glaubwürdig EPU vertreten, die 57% ihrer Mitglieder sind. Und sie muss transparent agieren – bei Wahlen und in ihrem Handeln.
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