Scheitern als neue Disziplin?
Gelebter Masochismus, der gut bedient ist bei den Fuck up Nights? In vielen Städten dieser Welt gibt es sie und dieses Franchisesystem hat Erfolg. Kann dieses System auch mal Scheitern? Die Fuck up Nights dienen dazu, Menschen, die fatale Fehler in ihrem Business begangen haben, auf die Bühne zu holen. Aber auch solche, denen ihr Businessmodell von anderen Firmen weggeschnappt wurde, erzählen ihre Geschichten. Nicht anonym, sondern als öffentliches Event wird hier das Scheitern zelebriert, hinausposaunt und gehypt.
Welche Definition von Scheitern ist denn überhaupt heranzuziehen?
Das Wort Scheitern impliziert sehr viel und ist sehr frei interpretierbar. Wenn ein Unternehmer von sich sagt er wäre gescheitert, dann wissen wir im Grunde noch nicht viel. Nur das, was wir uns im Moment darunter vorstellen können. Vielleicht haben wir gerade von einer Insolvenz gehört und assoziieren das damit. Eigenes Scheitern kann auch dann empfunden werden, wenn zwar die Geschäfte laufen, aber nicht so gut, wie man es für sich vorweg kalkulierte. Auch geringe Abweichungen von bestimmten Vorstellungen können individuell als Scheitern betrachtet werden, sind für Außenstehende jedoch nicht nachvollziehbar.
Das Glück ist ein Vogerl und einer hat immer das Pummerl
In der Glücksforschung gibt es die Ansicht, dass diejenigen am zufriedensten sind, die auch am flexibelsten reagieren können. Wenn also ein Businessmodell zunächst nicht so aufgeht kann man einerseits sehr starr daran festhalten, bis man vielleicht scheitert oder eines Besseren belehrt wird. Man kann aber auch nachjustieren und sich dem Markt, der Umwelt, den Geschäftspartnern und Kunden in einer Weise anpassen, dass die Unternehmung doch noch erfolgreich werden lässt. Natürlich gibt es Parameter und Voraussetzungen, die eher erfolgsversprechend sind oder eben nicht. Geld, Beziehungen, Einfluss und wohlwollende Umwelten schaden dabei nie und sind auf jeden Fall gute Voraussetzungen für eine erfolgsversprechende Unternehmung.
Jeder ist seines Glückes Schmid
Das derzeitige Selbstoptimierungsparadigma bedrängt das Individuum für alles selbst verantwortlich zu sein. Damit wird auch das Konkurrenzdenken immens bedient. Der Soziologe Stefan Selke weiß dazu, dass das Ich, das Selbst, in der Moderne für alles selbst verantwortlich ist. Also für seinen eigenen Erfolg aber auch für sein eigenes Scheitern. Um Scheitern zu verhindern muss man immer besser werden und sich selbst optimieren. Selbstoptimierung ist der Glaube an die Vermessbarkeit und Quantifizierbarkeit des Lebens.
Gute Miene zum bösen Spiel oder Härtetraining für den erneuten Kampf?
Hilft es, mit dem eigenen Scheitern an die Öffentlichkeit zu gehen? Entlastet es, Gleichgesinnte zu treffen und sich über diverse Fehler auszutauschen? Oder ist man nur gefangen im Selbstoptimierungsparadigma. Wer sich abhärtet und weiterkämpft wird stärker und gewinnt letztendlich, so ein weitverbreiteter Tenor.
Das ist gut vergleichbar mit dem was Robert Pfaller über die körperliche Selbstoptimierungstendenzen sagt. Präventives Verhalten im Gesundheitsbereich, Leistungssteigerung und ästhetische Ansprüche vermischen sich in dieser neuen Kultur der Selbstoptimierung. Menschen beginnen Techniken der Verhaltensnormierung, die ihnen von außen auferlegt werden mit dem Gefühl der Selbstbefreiung zu betreiben, so der Philosoph Pfaller. Der gesunde Körper wird zum Ort der vermeintlich freiwilligen Selbstverwirklichung. Von der Politik und Wirtschaft wird diese Haltung dankend angenommen, erklärt Pfaller. Ist sie doch damit aus der Verantwortung genommen. Das kann man auch auf diese Fuck up Partys umlegen. Nur wer sich vehement mit dem eigenen Scheitern auseinandersetzt, sich exibitioniert und nicht klein kriegen lässt, hat gewonnen.
Ist Burnout das neue Scheitern?
Wenn wir von Burnout sprechen, dann impliziert das immer einen vorangegangenen vollen Einsatz. Also, wer sich kurz- oder langfristig aus dem Arbeitsleben zurückziehen muss, dem wird meist unterstellt, dass er sich zuvor vollends verausgabt und abgearbeitet hat. Das wiederum wird in unserer Leistungsgesellschaft gerade mal toleriert. Ausgebrannt sein bedeutet, dass man vorher für die Arbeit gebrannt hat, so der Soziologe Neckel. Die winner-take-all-Märkte, die nur einen Gewinner kennen, so der Soziologe weiter, produzieren damit auch mehr Verlierer. Gemeint ist damit, dass der Erstgereihte weit mehr als alle Nächstgereihten einheimst und damit sehr viele Schlechtplatzierte übrig bleiben. Dauerhafter Streß ohne befriedigendes Ergebnis lässt den Einzelnen oft als gescheitert ansehen. Vielleicht ist ein darauf folgendes Burnout ein möglicher Weg, zumindest vorübergehend, so der Selbstverwirklichungsfalle zu entgehen.
Aus Fehlern gelernt oder bereits gescheitert?
Ob man Fehler zulässt, um daran zu wachsen oder Fehler nur als Schwäche gesehen werden, hängt von vielen Faktoren ab. Barett und Scheer benutzen die Kunst der Jazzimprovisation, Regeln stehen einer gewissen Regellosigkeit gegenüber, um Managementaufgaben zu lösen. Hier wird das Scheitern als Quelle des Lernens erlebt. Dazu ist allerdings eine hohe Fehlertoleranz notwendig. Wie bereits weiter oben erwähnt kann eine gute Strategie die sein, sich flexibel einzustellen und aus dem, was nicht funktioniert, etwas Kreatives machen, anstatt zu verzweifeln.
Das Thema Scheitern ist fast unerschöpflich und vielfältig betrachtbar und fast lässt es einem auf der Suche nach Definitionen, Erklärungen und Denkanstößen scheitern – aber nicht doch, daraus werden weitere Überlegungen, Anregungen generiert und so inspirierend zum Ende kommen.
Weitere Artikel zum Thema Scheitern:
Jungunternehmertag 2015: #Scheiternerlaubt »
Quellen:
http://stefan-selke.tumblr.com/
http://www.suhrkamp.de/buecher/leistung_und_erschoepfung-_12666.html