Burnout oder „nur“ Hörstress?
Posted On 20. Juni 2023
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Gastbeitrag von Dr. Christina Heinisch
Erschöpft, abgeschlagen, k.o. = Arbeitsüberlastung, Burnout? Eine Gleichung, die so nicht aufgeht. Und weit zu einfach wäre. Keine Frage: Die (Arbeits-)Welt fordert uns – täglich und schnelllebiger als je zuvor. Was aber, wenn der Kern der Erschöpfung, gar nicht von psychischer Seite rührt, sondern vielmehr unser Gehör Ausgangspunkt wäre? Tatsächlich kann Hören Stress verursachen. Vor allem dann, wenn Ohren und Gehirn nicht mehr perfekt zusammenarbeiten …
Nur 30 % des Gehörten wird bewusst verarbeitet
Ohr und Gehirn treten als leistungsstarkes Team auf – wir hören mit den Ohren, verstehen aber erst durch die kognitive Leistung des Gehirns. Ein gesundes Gehör kann bis zu 70 % der Hörinformationen ausblenden, sodass nur 30 % bewusst verarbeitet werden müssen. Dadurch sind wir relativ gut vor Überbelastung geschützt. Lässt das Hörvermögen nach, werden irrelevante Inhalte nicht mehr so effektiv ausgeblendet und Betroffene können sowohl schlechter hin- als auch schlechter weghören. In den meisten Fällen ist das ein schleichender Prozess, bei dem sich die Wahrnehmung der Hörumgebung minimal, jedoch stetig verändert.
Wenn Hören stresst – Symptome erkennen und deuten
Die permanente Verarbeitung von Hörinformationen beansprucht unser Gehirn massiv. Ist der akustische Input permanent hoch und sind wir gleichzeitig emotional unter Druck, ist irgendwann eine Grenze erreicht: Es entsteht Hörstress. Funktioniert das Gehör nur noch vermindert – gerade im Anfangsstadium oft unbemerkt –, tritt dieser Punkt noch früher ein.
Betroffene tun sich gerade zu Beginn schwer, die Symptome passend zuzuordnen – früher oder später resultiert die existierende Höreinschränkung jedoch in zunehmend schlechterer Wahrnehmung von Hörinhalten, einer beeinträchtigten Aktivität der Hörfilter und dadurch in vermindertem Sprachverstehen. Die Folge: Betroffene Personen müssen immer genauer hinhören und nachfragen, um etwas zu verstehen, vor allem in geräuschvollen Umgebungen. Das Gehör ruft also permanent zusätzliche kognitive Ressourcen und eine höhere Konzentrationsfähigkeit ab.
Hinzu kommt häufig emotionaler Stress: Eigene Einstellungen, Erwartungen und Befürchtungen erzeugen negative Gefühle. Derartige negative Grundannahmen führen zu hohen sozialen und emotionalen Belastungen, die sich auf psychischer Ebene nachteilig auswirken und sogar krank machen können – bis hin zu burnoutähnlichen Zuständen.
Jeder Fünfte ist betroffen
Sich eine vermeintliche Schwäche einzugestehen, bedarf persönlicher Stärke. Im Fall einer eintretenden oder fortgeschrittenen Hörminderung gleich doppelt: Neben der grundsätzlichen Angst oder dem Hemmnis vor Veränderung, haftet Hörverlust oder Schwerhörigkeit zusätzlich ein völlig überholtes gesellschaftliches Stigma an. In Konsequenz ignorieren Betroffenen so lange wie möglich ihren Hörverlust, was das Problem jedoch lediglich verschlimmert. Dabei stehen Betroffene nicht alleine da. Der Österreichische Schwerhörigenbund Dachverband ÖSB geht davon aus, dass rund jeder fünfte Erwachsene in Österreich an einer Hörminderung/Schwerhörigkeit leidet.
Schnelltest: Hörminderung als Ausgangspunkt für Hörstress
Wenn Sie mindestens eine der nachfolgenden Fragen mit Ja beantworten können, sollten Sie Ihr Gehör überprüfen lassen und sich Gewissheit verschaffen.
Fühlen Sie sich in Gesprächssituationen durch Nebengeräusche gestört?
Haben Sie den Eindruck, das Gesagte Ihres Gegenübers in lauter Umgebung, wie z. B. einer Messe, Großraumbüro oder Restaurant, schlecht zu verstehen?
Denken Sie öfter, dass Ihre Gesprächspartner nuscheln?
Lässt Ihre Konzentration in Gruppengesprächen schnell nach?
Lässt Ihre Aufmerksamkeit gegen Ende des Tages sehr stark nach?
Haben Sie Ohrgeräusche (Tinnitus)?
Quellen
von Gablenz, P. & Holube, I., 2015. Prävalenz von Schwerhörigkeit im Nordwesten Deutschlands, Ergebnisse einer epidemiologischen Untersuchung zum Hörstatus. HNO, Band 63, S. 195-214.
https://www.oesb-dachverband.at/schwerhoerigkeit/statistik (abgerufen am 07.06.23)
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