Gibt es einen Fachkräftemangel?
Die Antwort auf diese Frage ist nicht so einfach, wie Sie vielleicht meinen. Fragt man Firmen- oder Personalchefs würden einem viele laute „Ja“ entgegenhallen. Doch selbst Chefs in jenen Branchen, wo es den Zahlen zufolge nicht an Fachkräften mangelt, würden diese Frage bejahen.
Apropos Zahlen. Was sind das für Zahlen und woher kommen sie? Es gibt Studien die sich einzig auf Umfragen mit Arbeitgebern berufen und daraus Tatsachen ableiten. Besser noch: Es gibt Studien, die Arbeitgeber auch nach den Gründen für ihren (gefühlten oder tatsächlichen) Fachkräftemangel befragen und daraus Tatsachen ableiten.
Probleme bei der Personalrekrutierung
Es darf auf keinen Fall kleingeredet werden, wenn Arbeitgeber Schwierigkeiten haben, ihre Stellen zu besetzen. Doch genauso darf nicht außer Acht gelassen werden, dass Arbeitgeberumfragen lediglich subjektive Eindrücke wiederspiegeln. So kam eine Studie von ManpowerGroup international zu dem Ergebnis, das größte Problem bei der Rekrutierung von Arbeitskräften seien unzureichende Fachkenntnisse. 33% der der Befragten stimmten dem zu. Einer AMS-Umfrage zufolge sei aber fehlende Arbeitsmotivation der Hauptgrund für den Fachkräftemangel. 51% stimmten dem zu. In beiden Umfragen waren die Befragten österreichische Arbeitgeber.
Subjektive Wahrnehmung versus objektive Erhebungen
Um einen Fachkräftemangel feststellen zu können, spielt die Wahrnehmung von Unternehmern eine Rolle. Aber nicht nur. Neben der Mikroperspektive muss auch die Makroperspektive betrachtet werden. Dazu gehören die die Anzahl offener Stellen, sowie die Zahl der verfügbaren qualifizierten Personen. Weiters gehören dazu: das berufsspezifische Beschäftigungswachstum, die Arbeitslosigkeit und die Lohnentwicklung.
Überraschende Studienergebnisse
In einer Studie des IHS, die im Auftrag des Sozialministeriums durchgeführt wurde, hat man eben jene Indikatoren untersucht. Die Ergebnisse waren teils zu erwarten. Einiges überraschte jedoch. Große Knappheit an Arbeitskräften herrscht im Bereich der Pflege aber „wahrscheinlich“ auch bei Medizinern und Apothekern. Die Betonung liegt deshalb auf „wahrscheinlich“, weil die Daten keinen 100%igen Rückschluss zulassen. Ebenso wahrscheinlich ist ein Fachkräftemangel bei Architekten, Diplomingenieuren, Metallgussformern, Schweißern und Maschinenmechanikern.
Überraschend ist, dass die Studie zu dem Schluss kommt, dass in den letzten Jahren wohl kein Mangel an Informatikern bestand. Die gestiegene Nachfrage an Fachkräften wurde durch ein ebenso steigendes Angebot gestillt.
Kein Fachkräftemangel in Gastronomie
Und die größte Überraschung ist: Es konnte kein Fachkräftemangel im Bereich der Gastronomie festgestellt werden. Jene Branche, deren Vertreter in Medien allgegenwärtig sind, wenn Fachkräftemangel ein Thema ist, soll davon nicht betroffen sein? Wie geht das?
Mangelnde Arbeitsbedingungen und niedriger Lohn in der Gastronomie.
Die Zahl der Arbeitslosen in diesem Bereich ist mehr als dreimal so hoch, wie die Zahl der offenen Stellen. Zudem ist der Lohn in dieser Branche kaum gestiegen. Bei einem tatsächlichen Mangel hätte sich die Lohnkurve aber nach oben neigen müssen. Die Gründe für die Rekrutierungsprobleme dürften also nicht der Mangel an Fachkräften sein, sondern die Arbeitsbedingungen und der niedrige Lohn.
Runter mit den ideologischen Scheuklappen
Ist nicht klar, woran und warum es mangelt, kann auch nicht klar sein, an welchen Schrauben die Politik drehen muss, um das Problem zu lösen. Einfache Lösungsvorschläge gibt es nur von Leuten, die das Problem durch eine ideologische Brille betrachten. Während die einen beklagen, dass viele Arbeitslose gar nicht arbeiten wollen, beharren die anderen darauf, dass jeder gerne arbeiten würde, wenn es denn nur genug und vor allem passende Jobs gäbe. Die unbequeme Wahrheit: Beide haben recht und beide liegen falsch.
Trotz schwieriger Datenlage zeigt die Studie, dass viele Dinge im Bereich der Fachkräfte anders sind, als sie scheinen. Wenn also Unternehmen Probleme haben, geeignetes Personal zu finden, sollten zunächst die Gründe analysiert werden.
Anders denken statt gegeneinander
Es gibt gemeldete Arbeitssuchende, die nur zu einem Vorstellunggespräch kommen, um sich die Bestätigung zu holen, dass sie dort waren – aber kein Interesse haben, diesen Job auch zu bekommen. Solche Fälle gibt es und sollten ernst genommen werden. Aber jemand, der auf Grundlage dieser Fälle, in Arbeitssuchenden generell Arbeitsverweigerer sieht, trägt zur Stigmatisierung von Arbeitslosen bei, leugnet deren oftmals hartes Schicksal und löst damit rein gar nichts.
Eine Schraube, deren Drehung viele Mängel beheben würde, wäre ein Schul- und Ausbildungssystem, das niemanden mehr ohne Lehrabschluss oder Matura in die Arbeitswelt entlässt. Gut ausgebildete Menschen füllen nicht nur offene Stellen, sondern schaffen oft selber Arbeitsplätze.
Quellen:
http://www.forschungsnetzwerk.at/downloadpub/IHS-Studie-Fachkraeftemangel.pdf
http://www.forschungsnetzwerk.at/downloadpub/2011_fachkraefte_oesterreich_ams.pdf
https://www.manpower.at/studie-fachkraeftemangel-2016