Das „neue Normal“? Reorganisation am laufenden Band
Beim Realisieren von Changeprojekten, die auf eine Effizienzsteigerung abzielen, haben viele Unternehmen bereits eine große Routine entwickelt. Probleme bereitet ihnen aber der steigende Reorganisationsbedarf und dass sich der Charakter der Projekte zunehmend ändert. Das zeigt eine Online-Befragung von Führungskräften.
Die Rahmenbedingungen des wirtschaftlichen Handelns der Unternehmen verändern sich immer rascher – und zwar kontinuierlich. Deshalb finden in ihnen zurzeit so viele Reorganisationsprojekte wie noch nie statt – meist mit dem Ziel, die Marktfähigkeit des Unternehmens wieder herzustellen oder diese zu bewahren.
Diese Projekte haben stets eine hohe Relevanz für den künftigen Erfolg der Unternehmen. Deshalb wollten die Unternehmensberatung Kraus & Partner und das IfUS Institut an der SRH Hochschule Heidelberg wissen,
- welche Erfahrungen die Unternehmen in den zurückliegenden Jahren mit solchen Projekten gesammelt haben und
- wie sie den künftigen Change- bzw. Reorganisationsbedarf einschätzen.
Reorganisationsprojekte gehören zum Unternehmensalltag
Deshalb führten sie eine Panel-Diskussion mit einer integrierten Online-Befragung zum Thema Reorganisation durch, an der 183 Führungskräfte von Unternehmen mit mehr als 100 Mitarbeitenden teilnahmen. Die Befragung der zumeist auf der mittleren und oberen Führungsebene angesiedelten Führungskräfte ergab, dass in den letzten drei Jahren
- 29 Prozent von ihnen eine,
- 46 Prozent zwei bis drei und
- 25 Prozent sogar vier und mehr
Reorganisationen in ihrer Organisation erlebt haben. Dies zeigt: Dass in den Unternehmen parallel zum laufenden Betrieb Reorganisationen erfolgen, ist inzwischen – zumindest in größeren Organisationen – keine Ausnahmesituation mehr. Es ist das „neue Normal“.
Ertragssteigerung ist meist das primäre Ziel
Im Rückblick äußerten die Befragungsteilnehmer, dass das Gros der Reorganisationsprojekte auf
- eine Kostensenkung (71,6 Prozent),
- eine Produktivitätssteigerung (63,4 Prozent) bzw.
- eine Umsatzsteigerung/Markterweiterung (54,6 Prozent)
abzielten (Mehrfachnennungen möglich). Ziele wie
- die Qualität/Kundenzufriedenheit erhöhen (30,0 Prozent),
- die Mitarbeiterzufriedenheit erhöhen (17,5 Prozent),
- die Innovationsfähigkeit steigern (31,7 Prozent),
- die Unternehmenskultur verändern (38,3 Prozent) und
- die Digitalisierung vorantreiben (39,4 Prozent).
spielten hingegen eine eher sekundäre Rolle bzw. hatten eine dienende Funktion bezüglich solcher Ziele wie Kostensenkung sowie Produktivitäts- und Umsatzsteigerung (siehe Grafik 1).
Den Erfolg der durchgeführten Reorganisationen „gemessen an den definierten Zielen“ bewerteten die Befragungsteilnehmer auf einer Fünfer-Skala (1 = mangelhaft/minimal; 5 = sehr gut/exzellent) gemittelt mit 3,45 – also zwischen befriedigend und gut. Die Führungskräfte stuften den Erfolg der Reorganisationsprojekte in ihrer Organisation also deutlich höher ein, als dies die meisten Studien suggerieren: Sie kommen häufig zum Schluss, dass beim Gros der Projekte die Ziele nicht oder nur teilweise erreicht werden.
Erfolgsfaktoren: Kommunikation und Engagement des Managements
Als zentrale Erfolgsfaktoren nannten die Führungskräfte (Mehrfachnennungen möglich)
- eine klare und regelmäßige Kommunikation (78,4 Prozent),
- eine Unterstützung und ein aktives Engagement des Top-Managements (75,2 Prozent),
- einen Einbezug der Mitarbeitenden und Führungskräfte (69,8 Prozent),
- eine klare Rollen- und Aufgabenverteilung (64,4 Prozent) und
- ein erfolgreiches Change-Management (48,7 Prozent).
Auffallend ist dabei, dass den Einflussfaktoren „ausreichende personelle und finanzielle Ressourcen“ (41,2 Prozent), „realistische Zeit- und Budgetplanung“ (32,8 Prozent) und „professionelle Projektmanagementorganisation (PMO – 23,8 Prozent)“ eher eine geringe Bedeutung beigemessen wird.
Als zentrale Faktoren, die zum Misserfolg von Reorganisationsprojekten führen, wurden hingegen genannt:
- unklare Zielsetzung (86,9 Prozent),
- mangelhafte Kommunikation (84,7 Prozent),
- Parallelität von Reorganisation und Alltagsgeschäft (72,4 Prozent),
- unklare Zuständigkeiten (65,8 Prozent) sowie
- Widerstände in der Organisation (56,6 Prozent).
Eher selten scheint die Ursache der Misserfolge jedoch ein schlechtes Change-Management zu sein (25,5 Prozent). Dies liegt vermutlich daran, dass zumindest die größeren Organisationen in den zurückliegenden Jahren bereits viel Erfahrung im Managen von Change-Projekten, die primär auf eine Kostensenkung und Produktivitätssteigerung abzielen, gesammelt haben.
Auffallend ist, wie oft die „Parallelität von Reorganisation und Alltagsgeschäft“ als zentraler Misserfolgsfaktor von Reorganisationsprojekten genannt wird. Die damit verbundene „Doppel- bzw. Mehrbelastung“ führt, wie unter anderem die Panel-Diskussion zeigte, häufig zu einer Überforderung insbesondere der Führungskräfte und Mitarbeiter auf der operativen Ebene und einer falschen Prioritätensetzung im Arbeitsalltag, insbesondere dann, wenn
- das Top-Management, die Bedeutung, die es dem Projekt beimisst, nicht nachdrücklich genug vermittelt, und
- diese nicht in die Leistungsbeurteilung einfließt.
Interne und externe Berater verschaffen nur partiell Entlastung
Von den Unternehmen mit mehr als 1000 Beschäftigten, von denen Führungskräfte an der Befragung teilnahmen (28 Prozent), hatten nahezu alle ein Inhouse-Consulting und/oder ein internes Reorganisationsteam. Deren Existenz bzw. die Zusammenarbeit mit ihnen hat laut Aussagen der Befragungsteilnehmer bei Reorganisationsprojekten folgende Vorzüge:
- eine beschleunigte Entscheidungsfindung aufgrund interner Fach- und Prozesskenntnisse,
- ein besseres Verständnis der Unternehmenskultur und -strukturen und
- eine höhere Akzeptanz bei den Mitarbeitenden aufgrund der Kollegialität der Berater.
Ungeachtet dessen wurde der Beitrag des Inhouse-Consultings zum Projekterfolg – erneut auf einer Fünfer-Skala – jedoch nur mit einem Mittelwert von 2,88, also etwas schlechter als voll befriedigend, bewertet.
Als zentrale Aufgaben, die externe Unternehmensberatungen bei Reorganisationen übernehmen sollten, wurden genannt:
- strategische Beratung (29 Prozent),
- Analysen liefern (19 Prozent),
- operative Unterstützung (25 Prozent) sowie
- Change-Management und Coaching (24 Prozent)
Ihr Beitrag zum Projekterfolg wurde gemittelt mit einem Wert von 3,35 – also zwischen befriedigend und gut – bewertet.
Erstaunlich positiv wirkten sich die Reorganisationen aus Sicht der Befragten auf die Unternehmenskultur aus (also zum Beispiel auf solche Faktoren wie die Zusammenarbeit, Innovationsfreude und das Vertrauensniveau). 13,1 Prozent stuften diese als „sehr positiv“ und 53,6 Prozent als „eher positiv“ ein; nur 9,3 Prozent hingegen als „eher negativ“ und gar nur 1,1 Prozent als „sehr negativ“ (Grafik 2).
Hierbei gilt es jedoch zu bedenken, dass an der Onlinebefragung nahezu ausschließlich mittlere und obere Führungskräfte teilnahmen. Dies gilt es auch bei den Antworten auf die Frage zu bedenken „Wie schätzen Sie die Auswirkungen der Reorganisation auf die Mitarbeiterbindung (Fluktuation, Zufriedenheit) ein?“. Diese stuften die Teilnehmer auf einer Fünfer-Skala (1 = deutlich verschlechtert, 5 = deutlich verbessert) mit 3.48 ein – also eher positiv ein.
Charakter der Reorganisationsprojekte verändert sich
Fast die Hälfte der Befragungsteilnehmer erwartet, dass die Zahl der Reorganisationsmaßnahmen und -projekten in ihren Unternehmen in den kommenden zwei Jahren weiter steigt (48 Prozent). Als künftige inhaltliche Schwerpunkte dieser Projekte erachten sie (Grafik 3)
- Anpassung des Geschäftsmodells (84,2 Prozent),
- Kostensenkung und Effizienzsteigerung (73,8 Prozent),
- Digitalisierung (67,4 Prozent),
- Prozessoptimierungen (62,7 Prozent),
- Anpassungen des Organisationsdesigns (54,3 Prozent),
- Anpassung des Footprints (z.B. Standortverlagerungen – 32,9 Prozent)
Hierin lässt sich aufgrund der stark veränderten (welt-)wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen sowie der rasanten technologischen Entwicklung – nicht nur im IT-Bereich – eine Fokusverlagerung der Reorganisationsprojekte erkennen und zwar weg von einer primär angestrebten Kostensenkung und Effizienzsteigerung hin zu einem Redesign der Geschäftsmodelle der Unternehmen.
Kulturveränderung gewinnt bei Projekten an Bedeutung
Hieraus dürften auch neue Anforderungen an das Change-Management erwachsen, da
- mit diesen Projekten stets auch eine partielle strategische Neuausrichtung der Unternehmen einhergeht und
- diese viel stärker auch eine Kulturveränderung erfordern als die klassischen Kostensenkungs- und Effizienzsteigerungsprojekte, mit deren Durchführung die meisten Unternehmen schon eine gewisse Routine entwickelt haben.
Entsprechend wichtig ist es, dass bei ihnen die drei Dimensionen Strategie, Struktur und Kultur (siehe Grafik) und deren Wechselwirkungen ausreichend mitbedacht werden, damit sich das System Unternehmen wie gewünscht entwickelt und die Projektziele erreicht werden.
Prof. Dr. Georg Kraus, Prof. Dr. Henning Werner
Zu den Autoren:
- Dr. Georg Kraus ist Inhaber der Unternehmensberatung Kraus & Partner, Bruchsal. Der Autor mehrerer Change und Projektmanagement-Bücher hat eine Professur an der Technischen Universität Clausthal und ist Lehrbeauftragter an der Universität Karlsruhe und der IAE in Aix-en-provence.
- Dr. Henning Werner ist Professor für Transformation, Restrukturierung & Sanierung an der SRH Hochschule Heidelberg und Leiter des IfUS-Instituts für Unternehmenssanierung.









