RADIO-UWEB im Gespräch mit Petra Werkovits – Teil 1: … will man wissen wo´s hingeht, muss man wissen woher´s kommt: Künstlerdorf Neumarkt an der Raab
In den 1960er war dort das Ende der Welt. Das Südburgenland war die ärmste Region in Österreich und die Leute schämten sich ihrer Armut. Sobald sie ein bisschen Geld hatten sollten die Zeichen der Armut weg. Zu diesen Zeichen gehörten auch die alten Lehmhütten mit den Strohdächern.
Gemeinsam erreichten sie viel: Ferri Zotter und Alfred Schmeller
Ferri Zotter, der Blick von außen, war ein gebürtiger Neumarkter und einziger akademischer Maler der Region Jennersdorf. Er gründete damals einen Verein um das älteste Haus im Ort, vulgo Daxhaus zu retten. Das war der Auftakt. Feri Zotter hatte in Alfred Schmeller, einen der genialsten Kulturmanager Österreichs, Direktor des Museum des 20. Jahrhunderts in Wien und Landeskonservator des Bundesdenkmalamts des Burgenlandes, einen eifrigen Mitstreiter gefunden. Schmeller hat in seiner Funktion viele weitere Kulturgüter im Burgenland gerettet: die Altstadt von Rust, Schloss Deutschkreutz und Schloss Halbturn, die Kellerstöckln in Heiligenbrunn und vieles mehr.
Heute geschlossen wegen keiner Lust zu arbeiten!
Ursprünglich sollte in das bereits erwähnte Daxhaus ein Heimatmuseum einziehen. Allerdings war die Region von der Landflucht heimgesucht und einen Tourismus kannte man nicht. So hatte Schmeller die Idee eben das erste Künstleratelier zu eröffnen. 1968 wurde das renovierte, strohgedeckte alte Bauernhaus als Atelier eröffnet. In Folge mieteten sich diverse KünstlerInnen ein. Einer der ersten war Peter Handke, der im gleichen Jahr – Die Angst des Tormannes beim Elfmeter – in Neumarkt diesen Roman schrieb. Wim Wenders verfilmte diesen Roman an den Originalschauplätzen. Walter Pichler hat sich Anfang der 1970er dort zurückgezogen und schließlich ein Haus in der Gegend erstanden. Er verliebte sich bereits bei der ersten Begegnung in dieses Haus, einer ehemaligen Schusterwerkstatt. Pichlers Vater war selbst Schuster in Südtirol. An der Tür seiner zukünftigen Wohnstätte, so erzählte Pichler, stand vom Vorbesitzer auf einem Zettel geschrieben: Heute geschlossen wegen keiner Lust zu arbeiten.
Viele Künstler siedelten sich in der Folge in Neumark an der Raab und der nahen Umgebung an wie Kurt Kocherscheidt, Elfi Semotan, Martha Jungwirth, Peter Pongratz, Peter Sengl uvm. Auch Autoren wie H.C. Artmann, Wolfgang Bauer, Alfred Kolleritsch, Barbara Frischmuth, Gerhard Roth, Ernst Jandl und Friedericke Mayröcker haben dort geschrieben.
Der Ursprung des Serapionstheaters
Erwin Piplits startete in Neumarkt 1972 seine Karriere mit einem Puppenspielerseminar. Bienenkörbe der Bauern waren unter anderem Fundstück und Material für die erschaffenen Puppen. Das Stück – Der Holzknechtseppl und die Stradafüssler – wurde mit diesen Puppen nachgespielt. Anfang der 1970er waren über 600 Leute auf der großen Wiese im Künstlerdorf – ein absoluter Besucherrekord – und sahen dieser Aufführung auf.
Das Aktmodell und der burgenländische Lustmolch
Eine Künstlerin, die Aktkurse gab, erzählte, Männer, Frauen, Kinder, alle kamen spechteln – bei den Gebüschen sah man überall die Kopftücher. Einmal trug es sich zu, dass sich einem Aktmodell, geschützt durch einen Busch, damit kein öffentliches Ärgernis entstehen konnte, ein Bauer in seinem Traktor näherte. Er besah sich nun aus geeigneter Höhe das sehr viel zu bietende Modell genüsslich an während sein Heuwagen mitsamt dem Bauern im Graben landete und Hilfe geholt werden musste. Das Stigma ein Lustmolch zu sein wurde er bis zu seinem Tod nicht mehr los.
Die karge Zeit beginnt für das Künstlerdorf…
Mit dem Tod von Feri Zotter und Alfred Schmeller starb auch ein wenig die Kunst und das Flair im Künstlerdorf. Es wurden wohl weitere Häuser gerettet und dem Künstlerhaus zugetragen aber sonst passierte nicht allzu viel Qualitätvolles.
Heute ist das Künstlerdorf im Besitz des ältesten Kreuzstadels des Burgenlandes aus 1775. Das älteste Kino des Südburgenlandes und die historischen Ölmühle stehen da. Hier gibt es eine der bestausgerüsteten Druckwerkstätten Österreichs. Veranstaltungen, Konzerte, Lesungen, Vorträge und vieles mehr finden in der Dorfgalerie statt. Zwischen Feri Zotter und Petra Werkovits hat es eine Führungstroika gegeben; das Vertrauen der Künstler ging in dieser Zeit verloren. Der Alois Neubauer, der Vorgänger der heutigen Obfrau wurde schwer krank und starb 2007. In diesem Jahr war der Verein an seinem Tiefpunkt. Zwischen November 2007 und Frühjahr 2008 lag der Kulturverein völlig brach.
… viele schlaflose Nächte und die unbändige Lust am Gestalten.
Der damalige Vorstand stand eines Tages vor meiner Tür und bat mich händeringend um meine Unterstützung. Ich erbat Bedenkzeit. Es war mir klar welcher Verantwortung ich mich stellen würde.
Doch die große Lust am Gestalten und die Nähe zur Gegend und dem Verein ließen mich zusagen. Ich war offenbar prädestiniert dafür als original Südburgenländerin, die Kunstgeschichte studierte und im künstlerischen Bereich tätig war. Damals leitete ich die Bibliothek und organisierte viele literarische und andere Veranstaltungen.
Nach der Zusage eröffnete sich mir erst die Dimension der übernommenen Baustelle, die mich viele schlaflose Nächte kosteten. Ich hatte einen haupt-ehrenamtlichen Job übernommen. In den ersten Jahren arbeitete ich rund um die Uhr, um diese ganzen Löcher zu stopfen. Man musste einfach unentwegt handeln. Als dann erstmals die Möglichkeit bestand durchzuatmen überlegte ich mir – so welche Richtung schlagen wir da eigentlich ein?
Will man wissen wo es hingeht muss man wissen woher es kommt!
Da begann ich am Institut für Kulturkonzepte eine Ausbildung für Kulturmanagement zu machen. Ich wollte das Handwerkszeug erlernen um so einen Verein zu leiten. Ich lernte einen ordentliches Nutzungskonzept für das Künstlerdorf zu erstellen. Im Laufe der Ausbildung wurde mir folgendes klar: Wenn ich wissen will wo es hingeht, muss ich wissen wo es herkommt. Das Künstlerdorf hat natürlich eine gloriose Vergangenheit, mit der man hausieren gehen kann aber andererseits war das auch ein unglaublicher Hemmschuh. Man wird immer an dieser Vergangenheit gemessen wusste jedoch nichts Genaueres. Es rankten sich soviele Legenden ohne wirklich etwas Konkretem.
31 Gästebücher, wahre Gustostückerln, dienten zur Aufarbeitung und Dokumentation.
Da kam ich zu dem Schluss, dass es eine ordentliche Dokumentation geben muss. Man muss diese Geschichte aufarbeiten. Das war dann meine Projekt- und Abschlussarbeit meiner Ausbildung – die Dokumentation der Geschichte des Künstlerdorfes. Dabei dachte ich, dass ist so viel Arbeit, da muss man doch gleich ein Buch draus machen, das gehört publiziert. Ich holte mir eine kompetente Hilfe, den Journalisten Peter Vukits. Wir recherchierten gemeinsam. Wir fanden 31 Gästebücher, die Zeugnis geben, was in den letzten Jahrzehnten im Künstlerdorf passierte. Eduard Sauerzopf, ein Zeichner und Künstler aus der Region, der ein akribischer Chronist war, hat die Gäste, die da waren in das Buch hineinzeichnen lassen, Zeitungsausschnitte reingeklebt und vieles mehr. Wir haben diese kostbaren Bücher durchforstet, digitalisiert und davon ein Katalogsystem angelegt. So konnten wir die Künstler und Ereignisse einordnen und wiederfinden und mit Hilfe dieser Dokumente suchten wir nach den Protagonisten dieser Zeit. So führten wir über 100 Interviews.
Die Neumarkt-Connection
Gerhard Rühm, Wander Bertoni, Franz Buchrieser, Wilhelm Penny und Peter Turini, die die Alpensaga dort konzipierten und viele mehr gehören dazu. Wir erfuhren von Guiseppe Sinopoli, dem berühmten Dirigent, der jahrelang ein Haus in Neumarkt an der Raab hatte. Das Ensemble des 20. Jahrhunderts wurde hier gegründet. Die Eröffnungsausstellung des Centre Pompidou in Paris wurde bei einem Sautanz in Neumarkt an der Raab konzipiert . Da waren die Hausrucker und Co, die Architekten. Die musikalische Umrahmung zur Eröffnung im Centre Pompidou wurde beigesteuert von Giuseppe Sinopoli – das war alles die Neumarkt-Connection.
Es war eine wunderbare Erfahrung wie großzügig die Leute erzählt haben und wie gerne sie an die Zeit in Neumarkt dachten. Gleichzeitig war das Ganze eine Art Rückholaktion der großen Künstler. Die hatten teilweise Jahrzehnte nichts mehr mit diesem Kulturverein und Neumarkt an der Raab zu tun.
Learning by doing und warum alles entstand.
Aus diesem Tun habe ich viele gelernt. Wie das ganze Projekt Künstlerverein angedacht wurde. Es sollte eine Art Experimentierwiese sein. Es sollte die Möglichkeit schaffen große Namen ganz hautnah erleben zu können. In Wien wäre man mit den Großen nie ins Gespräch gekommen, wenn man zu einer Ausstellungseröffnung ging. In Neumarkt saß und sitzt man nebeneinander beim Wirten und trinkt gemeinsam den ein oder anderen Uhudler.
Es war oft extrem viel Arbeit und ich fragte mich oft warum ich mir das antat. Aber es ist so irrsinnig viel zurückgekommen und man kann so viel gestalten und bewegen. Wenn man offen ist, zuhört was die Leute gerne hätten, wie man zusammenkommen könnte, und ein bissl ein Gespür dafür hat entwickelt sich was sehr Schönes.
Manchmal greift man in den Gatsch… und der gute Riecher.
Nicht alles geht gut, manchmal greift man auch mal in den Gatsch, aber es ist alles ein Lernprozess und das ist auch was Wunderbares. Ich sehe es in letzter Zeit immer mehr als meine Aufgabe, den Leuten, die herkommen, zuzuhören. Auf der einen Seite unterhalte ich sie auch als kommunikativer Mensch. Ich versuche die Leute zusammen zu bringen. Ich entwickle immer mehr ein Gespür welche Leute zusammenpassen könnten. Das hat sich bereits in vielen Situationen herausgestellt, dass ich einen guten Riecher beweise.
Teil 2 dieses Gespräches:
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