Less is more
Ich bin meiner liebsten Frau Mama nicht böse. Gar nicht. Nie. Auch, wenn sie heute schon zum gefühlten zweihundertsten mal anruft und mir erzählt. dass ihr immer so Frauen mit großen Busen Mails schicken und sie deswegen jetzt die Polizei anrufen wird. Ich versuche dann einfach nur ein bisschen zu beschwichtigen und erkläre dann was „Spam“ oder auch „Click Bait“ ist. Man kann ihr gar nicht böse sein. Unser Alltag hat sich in den letzten 20 Jahren dermaßen verändert, dass es auch mir – mit meinen knackigen 35 – oftmals schwer fällt Schritt zu halten.
Multitasking bereits beim Zähneputzen
Vor 20 Jahren war der Alltag einfacher. Da gab’s nicht viel technisches Schischi. Da gab’s generell weniger Kommunikation. Und weniger Werbung. Und wenn’s was gab, dann war’s circa sowas wie „Kaufen Sie SchlaberantoFix! Denn nur SchlaberantoFix macht Ihr Häus’l auch wirklich häuslich!“ Die Dinge heute sind komplizierter. Und wir ja irgendwie auch. Wenn wir mal ehrlich zu uns selber sind, dann fangen wir doch bereits beim Zähneputzen an die Kaffeemaschine auf das gewünschte Resultat zu programmieren. So manch einer klickt mit der anderen freien Hand in sein Instagram-Feed (der Zahnpastaschaum rinnt gerade aus dem rechten Mundwinkel – Schlürfgeräusche) und schaut, wie viele „Herzerl“ er über Nacht ergattert hat. Und beim Mundausspülen stehen wir schon gedanklich vor dem Spiegel und planen das #OOTD (Outfit of the day), mit passendem Selfie und #Coffeepost.
Vor der Arbeit ist bei der Arbeit
Schon auf dem Weg zur Arbeit oder zur Uni stecken wir schon voll in arbeitsähnlichen Prozessen. Die meisten starren auf ihr Smartphone, müssen, während die UBahn-Anzeige kritisch beäugt wird, noch eine fixe SMS schreiben, die Spotify-Playlist zurechtlegen oder Twitter checken. Die Fahrt wird auch durchgetaktet: Station Kettenbrückengasse bis Stadtpark wird auf die Geschäftsmail von gestern Abend geantwortet. Während dem Umsteigen rufe ich kurz meine Freundin an und erzähl ihr, dass der Typ von gestern Abend im Bett nicht so übel war, aber seine Stimme wie Miss Piggy klang. Und bei der Bimfahrt zum Prater gehe ich dann noch mal fix am Tablet über meine Keynote-Präsentation für heute Nachmittag.
Es ist einfach zu laut da draußen
Was passiert da überhaupt? Why? Why me?! Ganz einfach. Das ist der Wandel. Baby. Da kommt keiner aus. Und er ist ein Netz, das durch unendliche Kulturen, politische Bewegungen, wissenschaftlichen und technischen Fortschritt und die Möglichkeiten der Selbstentfaltung immer wieder neu gesponnen wird. Für jeden ein bisschen anders. Aber letztendlich kleben wir alle in diesem Netz und wurschteln uns da durch. Es ist einfach auch verdammt laut. Ob Smartphones, Infoscreens, Flyer, Anrufe, Internet, Social Media, TV, Radio … Wir werden täglich mit Botschaften und Eindrücken erschlagen. Und im Umkehrschluss nutzen wir die neuen Medien als Bühne, um selber neue Botschaften in die Weiten zu pusten. Das ist unser Zweit- oder Drittjob. Je nachdem.
Auch du hast einen Spamfilter
Die logische Folge: Wir filtern einfach besser. Wir passen uns den Gegebenheiten an. Schließlich können wir nicht vor jedem Werbeplakat zehn Minuten stehen bleiben und vor Begeisterung „PHOA! A WAAAAHNSINN!“ schreien. Wär ja irgendwie lustig, aber nein danke. Also filtern wir. Besser gesagt: Unser Gehirn filtert. Auf kognitiv-neurologischer, teils sehr primitiver Ebene. „Was ist für uns wichtig, was brauchen wir in unserer Lebenswelt?
Was hilft uns die Person zu sein, die wir sein möchten? Wie überleben wir am besten? Was muss ich machen, damit ich mich mit dem Wunschpartner paaren kann?“ – klingt deppert. Ist aber so.
Dadurch verändert sich unser Geschmack
Ganz abhängig davon, in welcher Kultur wir leben, wie dort die Gesellschaft gestrickt ist und in wie weit wir dem oben genannten Wandel ausgesetzt sind, verändert sich unser Geschmack. Das ist eine ganz logische Folge: Wir entscheiden uns manche Dinge bewusst wahrzunehmen und zu konsumieren. Wenn diese Konzepte dann in unser Leben treten dürfen, haben wir sie erfolgreich in unsere „LIKE!“-Welt aufgenommen.
Less is more: Mehr als nur Design und Trends
Erstaunlicherweise ist das wirklich wenig. Und das, was seit recht kurzer Zeit in der breiten Masse anklang findet, ist sehr reduziert. Das ist nicht verwunderlich. Diese unglaubliche Reizübersättigung, das ewige Multitasking und die Fülle an Möglichkeiten lassen uns reine, puristische und klare Konzepte leichter verstehen. Und die „Ruhe“, die diese Konzepte ausstrahlen empfinden wir – im alltäglichen Lärm – als harmonisch und erholend. Less is more. Abzuzeichnen im Design: Ein Buchstabe, eine Form, auf reinem Grund. Kraftvoll in der Aussage, denn die Aussage ist nicht komplex und erreicht uns direkt. Eine fein gewählte Schrift, gekonnt platziert. Ein Text, der Inhalt reduziert und klar strukturiert. Ein Produkt, mit Liebe zum Detail, aber einfach in Form und Beschaffenheit. Ein Essen, pur und nah am Ursprung, nicht durch unzählige, industrielle Prozesse modifiziert.
Zurück zur Ursprünglichkeit
Abschließend kann man sagen, dass sich ein Trend abzeichnet: Wir alle mögen Dinge, die ursprünglich, rein und klar sind. Die nicht durch Quantität, sondern durch Qualität überzeugen. Geliebt werden kurze Aussagen, die Klarheit bringen. Geliebt wird Design, dass einfach und funktionell ist. In diesem Sinne reflektiere ich gerne meinen Alltag, um diese Reduktion auch wieder ein Stück weit in meine Lebenswelt zu bringen.
Quellenangaben:
Produktfotos: https://www.instagram.com/studioac/
Posterdesign: https://www.behance.net/gallery/47910703/Visual-Identity-for-the-French-Lyceum-of-Gran-Canaria
Burger-Branding: https://www.behance.net/gallery/46105479/BANCA
Grafikdesign: http://www.kr8bureau.at/brand-design/
Posterserie: https://www.behance.net/gallery/47682629/Gleiches-Recht