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Flüchtlinge – Lehrlinge – Unternehmen: Der Zahntechniker Shokat Ali Walizadeh im Interview

© 3D-Rendering: www.corporate-interaction.com

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Das Interview mit Shokat Ali Walizadeh fand am 27.1.2016 im Cafe Prückel in 1010 Wien statt.

Bitte erzählen Sie uns etwas über Ihre Person

Ich kam 2008 in Österreich an; ich flüchtete aus Afghanistan. Ich war damals gerade 18 Jahre alt. Ein Jahr durfte ich im Asylheim in Annaberg außer Essen und Schlafen nichts tun. Es wurde leider auch kein Deutschkurs angeboten. Erst in Wiener Neustadt und bei Frau Ute Bock bekam ich die Möglichkeit Deutsch zu lernen.

 

Und wie verlief  bisher Ihr beruflicher Werdegang in Österreich?

Meine Lehre habe ich durch einen Kontakt gefunden. Durch meine damalige Deutschlehrerin, die für mich als Fürsprecherin fungierte, fand ich die Lehre als Zahntechniker. Sie fragte bei ihrem Zahnarzt, nachdem ihr ein Stück Zahn abbrach nach, ob er Lehrlinge aufnehmen würde. Wie es der glückliche Zufall so wollte, suchte er tatsächlich gerade nach Lehrlingen. Es wurde gleich ein Termin ausgemacht und meine Deutschlehrerin begleitete mich zum Vorstellungsgespräch. Sie hat ganz viel geredet und ehrlich gesagt, ich habe sehr wenig davon verstanden. Der Chef sagte, ich müsse vorher zwei Tage ein Praktikum machen. Nach diesen beiden Tagen hat er meine Werkstücke ausführlich kommentiert. Ich begann dann im September 2010 mit der Lehre. Zu Beginn hatte ich sehr viele Schwierigkeiten wegen meiner mangelnden Deutschkenntnisse. Meine Arbeitskollegen und die Berufsschullehrer der Längenfeldgasse haben mir sehr weitergeholfen. So konnte ich sogar im Jahr 2012 beim Wiener Lehrlingswettbewerb der Zahntechniker den ersten Platz machen. Im letzten Lehrjahr konnte ich beim Bundeswettbewerb und beim Wiener Wettbewerb jeweils den 2. Platz machen. Ohne Unterstützung von sehr vielen engagierten Menschen hätte ich das nie geschafft. So schaffte ich auch die Lehrabschlussprüfung mit Auszeichnung.

Warum wollten Sie Zahntechniker werden?

Ich wollte mit meinem Beruf Menschen helfen – Menschen brauchen Zähne und wollen lachen.

Haben Sie nach Beendigung der Lehre schnell eine Arbeit gefunden?

Ich habe mir einen neuen Arbeitgeber gesucht, weil ich bei meinem alten Lehrherren das Gefühl hatte, ich bin dort noch immer Lehrling. Aber die Lehrstelle war wirklich sehr gut. Meinen neuen Arbeitsplatz habe ich wieder über einen Kontakt und eine Empfehlung bekommen.

Welche Tipps haben Sie für Unternehmer, mit Lehrlingen, die nicht in Österreich geboren wurden, umzugehen?

Man sollte keine Angst haben auf diese Menschen zuzugehen. Die Flüchtlinge sind wie kleine Kinder. Sie werden in einer neuen Welt nochmals geboren. Jeder Lehrling beginnt sozusagen bei Null. Es wäre toll, wenn er neben der fachlichen Ausbildung auch eine kulturelle und soziale Ausbildung bekäme. Wenn ein Lehrling in einer Firma beginnt, dann sollte man sich Zeit geben, herauszufinden, mit wem der Lehrling am besten kann. Und dann wenn möglich diese Person als Ansprechpartner und Lehrlingsbeauftragten unterstützen.
Viele Afghanen möchten viel lernen; sie sind nahezu hungrig auf das Lernen. Und viele sind sehr geschickt mit den Händen. Denn in Afghanistan arbeiten viele bereits als Kinder und bringen daher schon viel Erfahrungen und Geschick mit.

Welche Tipps haben Sie für Lehrlinge bzw. für jene, die eine Lehrstelle suchen?

Erstens sollte man wirkliches Interesse zeigen und haben. Auf die Pünktlichkeit schauen ist ganz wichtig. Ein bisschen länger bleiben und nicht gleich weglaufen oder jeden Augenblick auf die Uhr schauen. Die ersten beiden Lehrjahre sind die schwierigsten, aus meiner Erfahrung. Man muss akzeptieren, dass man in der Hierarchie ganz unten ist. Gut zuhören und möglichst viel lernen. Man muss auch verstehen, dass die Kollegen auch mal viel Stress haben. Man soll sich nicht alles gleich zu Herzen nehmen, wenn mal etwas nicht so freundlich gesagt wird. Man sollte versuchen eine gute kollegiale Arbeitsbeziehung aufzubauen. Hilfsbereitschaft und offen sein für das was kommt, wäre wirklich von Vorteil. Am Besten man redet viel Deutsch mit den Kolleginnen und Kollegen, so lernt man wirklich gut die neue Sprache. Auch die aktive Teilnahme an Festivitäten, wie Weihnachten etc. kommt dem Lernen zugute.
Man sollte zudem darauf achten, in der Schule nicht oder wenig über den Betrieb, in dem man arbeitet, zu erzählen. Man sollte generell nicht zu viel erzählen; Privates sollte Privates bleiben.
Einen ganz wichtigen Appell habe ich: auch wenn es mal schwierig ist während der Lehrzeit sollte man durchhalten und die Lehre fertigmachen. Denn ein Abschluss ist in Österreich sehr wichtig.

Im Dezember 2015 entschied ich mich, im Sozialbereich zu arbeiten. Denn ich habe aufgrund meines ehrenamtlichen Engagements bei den Samaritern eine Stelle als Sozialarbeiter bekommen. Ich betreue dort Flüchtlinge.

Gibt es noch etwa, was Sie zum Thema sagen möchten?

Wenn man nicht weiß, für welche Lehrstelle man sich entscheiden soll oder sich für einen Lehrberuf interessiert aber nicht genau weiß, was genau dabei zu machen ist: Im Internet, auf youtube gibt es viele Videos, wo man sich vorinformieren kann.
Wenn man die Lehrstelle hat, dann sollte man sich viel von den Kollegen und Kolleginnen abschauen, zusehen, aufmerksam beobachten.

 

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