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Flüchtlinge – Lehrlinge – Unternehmen: Erich Lobinger im Interview

© Bild: Erich Lobinger

© Bild: Erich Lobinger

Erich Lobinger ist Lehrlingsbeauftragter im Bereich Gastronomisches Management des Kuratoriums Wiener Pensionisten-Wohnhäuser (KWP). Das KWP ist österreichweit der größte Anbieter für SeniorInnenbetreuung und ist mit seinen 30 Häusern zum Leben in fast allen Wiener Gemeindebezirken vertreten. Das Interview fand im Haus Rosenberg im 13. Bezirk in Wien statt.

Bitte stellen Sie das Unternehmen und ihre Tätigkeit als Lehrlingsbeauftragter vor.

Wir sind ein Unternehmen mit 30 Häusern und 160 Pensionistenklubs in Wien. Insgesamt beschäftigen wir etwa 4.000 engagierte MitarbeiterInnen aus ca. 60 Nationen, die sich um unsere 9.000 BewohnerInnen kümmern. Unsere Lehrlingsarbeit nehmen wir sehr ernst. Als eines der ersten Unternehmen wurden wir 2014 mit dem Wiener Qualitätssiegel TOP-Lehrbetrieb ausgezeichnet. Jeder einzelne Lehrling wird von uns individuell betreut und soll die optimale Ausbildung für einen guten Start ins Berufsleben erhalten. Folgende fünf Berufe kann man bei uns erlernen: Bürokauffrau/-kaufmann, Köchin/Koch, KonditorIn, IT-TechnikerIn und Finanz- RechnungswesenassistentIn

Was tun Sie nun im Besonderen für diese Lehrlinge?

Unserer Arbeit liegt ein Lehrlingskonzept zugrunde. Neben den notwendigen fachspezifischen Seminaren bieten wir sehr viele persönlichkeitsbildende Seminare an. Da stehen Themen wie Teambuilding, Gesprächsführung, Konfliktbearbeitung, Lernen lernen, Stressmanagement und vieles mehr am Programm.
Einmal jährlich organisieren wir für alle unsere Lehrlinge den so genannten Lehrlingstag. Bei diesem wird ein bestimmtes Thema bearbeitet und von den Lehrlingen präsentiert. Dabei lernen sich die Lehrlinge auch untereinander besser kennen und schätzen. Auch eigene Vernetzungstreffen und ein Talk mit der Geschäftsführerin tragen zum wichtigen Stellenwert und der Wertschätzung der Lehrlinge im Unternehmen bei.
Weiters tragen Lehrlingswettbewerbe in Form von jährlichen Lehrlingschecks zur Motivation immens bei, da die Lehrlinge ihr Können öffentlich unter Beweis stellen können und die Preisverleihung in feierlichem Rahmen gemeinsam mit der Führungselite stattfindet.
Zusätzlich gibt es jährlich noch zwei Exkursionen für unsere Lehrlinge, um mehr Einblick in die Praxis und in andere Unternehmen zu erhalten.
Last but not least kann man bei uns auch eine Lehre mit Matura absolvieren.

Nennen Sie uns diesbezüglich bitte ein paar Zahlen und Fakten

Insgesamt haben wir 30 Häuser. Betreut werden unsere 9.000 BewohnerInnen von rund 4.000 MitarbeiterInnen aus 60 verschiedenen Nationen. Davon arbeiten 1.800 MitarbeiterInnen im Bereich Pflege und ärztlicher Dienst, 780 MitarbeiterInnen im gastronomischen Bereich, 350 MitarbeiterInnen in den Klubs, 200 MitarbeiterInnen in der Betreuung (Animation, Sozialarbeit u. a.), weitere 590 MitarbeiterInnen engagieren sich ehrenamtlich. Zusätzlich beschäftigen wir 70 Zivildiener und 100 Lehrlinge.
 Rund 60 Lehrlinge arbeiten in unseren Küchen als Koch- oder KonditorInnen-Lehrling, der Rest ist in der Verwaltung als Büro- und Buchhaltungslehrlinge sowie in der IT beschäftigt.
Ganz besonders möchte ich die integrative Lehrausbildung erwähnen. Unser Ziel war hier, einen Anteil von 25 Prozent zu erreichen. Mittlerweile haben wir aber bereits die 30-Prozent-Marke überschritten. Das macht mich sehr stolz.

Was genau ist diese integrative Lehrausbildung?

Für mich es sehr wichtig, die sogenannten benachteiligten Lehrlinge zu unterstützen. Vielen von ihnen fehlt ein Schulabschluss, weshalb eine Lehrstelle zu bekommen sehr schwierig ist.
Unsere Bereitschaft ist auch da, Flüchtlinge und unbegleitete Jugendliche auszubilden. Da sind wir gerade dabei, das gut vorzubereiten.

Welche Botschaft und Tipps haben Sie diesbezüglich?

Man sollte sich sehr gut im Vorfeld informieren, was es genau bedeutet, benachteiligte Lehrlinge aufzunehmen und mit welchen Schwierigkeiten zu rechnen ist. Aufklärung auf beiden Seiten ist wichtig und alles, was vorher abgeklärt ist, muss man im Nachhinein nicht ausbaden. Meine Botschaft an andere Unternehmen ist die, dass man den jungen Menschen wirklich eine Chance geben soll und nicht nur darüber reden soll, sondern dem auch Taten folgen lässt.
Man sollte nicht alleine auf die Noten schauen. Sich nur die Einser-Kanditen auszusuchen, wäre zu einfach. Sonderschüler landen meist durch schulische Defizite in einer Sonderschule. Aber man sollte auch die positiven persönlichen Eigenschaften – wie Engagement, Ehrgeiz oder Freundlichkeit – mitberücksichtigen.
 Ich muss schon gestehen, ich hatte ursprünglich auch Bedenken, integrative Jugendliche einzustellen. Denn die integrative Lehrstelle dauert vier Jahre, nicht die üblichen drei. Damit wird den jungen Menschen aber die nötige Zeit gegeben, sich gut zurechtzufinden und viel zu lernen. Sie bekommen zusätzlich auch eine intensivere Betreuung während der Lehrzeit.
Tatsächlich haben wir jedoch das genaue Gegenteil meiner Befürchtungen erlebt! Es gab von Seiten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter viel Zuwendung und Empathie. Weil auch unsere Ausbilderinnen und Ausbilder erkannt haben, dass man diesen Leuten unbedingt eine Chance geben soll.
Letztes Jahr hat sogar ein integrativer Lehrling, ein Mädchen, den Lehrlingscheck als Köchin gewonnen! Daran sieht man, dass die Initiative aufgeht.
Mit unseren vielen Lehrlingen bilden wir eine eigene Berufsschulklasse. Durch unsere integrativen Lehrlinge gibt es meist eine zweite Lehrkraft. Von dieser intensiveren Betreuung können wieder alle profitieren. Und interessanterweise sind manchmal die integrativen Lehrlinge fitter in den Fächern Rechnungswesen und Buchhaltung. als das die regulären Lehrlinge sind.

Kann man sich bei Ihnen als Lehrling bewerben?

Man kann sich direkt an uns wenden. Einfach eine Bewerbung per E-Mail an das Lehrlingszentrum (Haus Rosenberg) schicken: lehrlinge@kwp.at
Wir suchen:
•    Köchinnen/Köche,
•    Finanz- und RechnungswesenassistentInnen,
•    IT-TechnikerInnen,
•    Konditorinnen/Konditoren

Möchten Sie dem bisher Gesagten noch etwas hinzufügen?

Ja, ich möchte Folgendes noch erwähnen. Wir produzieren derzeit pro Tag etwa 1.000 Portionen Essen für Flüchtlinge. In zwei von 30 Häusern werden diese Mahlzeiten produziert. Dabei helfen auch die Lehrlinge tatkräftig mit. Das bringt ihnen neben der normalen Lernerfahrung des Tuns zusätzlich die Erfahrung des Helfens. Sie lernen, dass es Menschen gibt, denen man helfen muss und wie das gehen kann. Die Lehrlinge machen das sehr gerne.
In der Früh wird ein Frühstück bereitet, mittags und abends wird etwas Warmes gekocht. Da ist auch viel Handarbeit dabei, wie das Kartoffel- und Gemüseschälen und -schneiden. Es kommen dabei immer andere Lehrlinge zum Zug, sodass jeder Lehrling mithelfen kann. Derzeit beliefern wir das Geriatriezentrum in Lainz, wo Flüchtlinge untergebracht sind. Bis vor Kurzem lieferten wir auch ins Otto-Wagner-Spital.

 

Ich danke Ihnen sehr für das Gespräch!

Ich danke Ihnen.

 

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