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Wirecard Finanzkrimi

© Bild: Gerd Altmann from ixabay

Das DAX-Unternehmen steckt in einer tiefen Krise. Der deutsche Zahlungsdienstleister kämpft gegen Vorwürfe von Betrug, Fälschung und undurchsichtigen Geschäftsbeziehungen. Im Bilanzskandal geht es um mutmaßliche Luftbuchungen in Höhe von 1,9 Mrd. Der Wirecard-Skandal betrifft auch Österreich: Österreichische Aktionäre haben massive Verluste erlitten, in der Politik werden Verflechtungen vermutet, heimische Banken fürchten um Kreditrückzahlungen und Inhaber von boon-Bankkonten bangen um ihr Geld.

Produkte und Leistungen

Wirecard bietet Full-Service-Lösungen für bargeldlose Zahlungsabwicklungen und ist im Bereich Financial Commerce tätig. Sowohl Geschäfts- als auch Privatkunden erhalten Dienstleistungen für den online und mobilen Zahlungsverkehr und für den Point of Sale (POS). Neben Kreditkarte und alternativen Zahlungsmethoden (z.B. SEPA) werden auch innovative Zahlungsoptionen angeboten (z.B. Alipay und WeChat Pay). Wirecard verfügt in Wien und Graz über Standorte.

Politische Verbindung in Österreich

Die SPÖ brachte kürzlich eine Anfrage wegen Verflechtungen Markus Brauns mit der ÖVP ein. Gegen Braun wurde ein Haftbefehl ausgesprochen, er hat sich in München gestellt und ist gegen eine Kaution von 5 Mio. EUR auf freiem Fuß. Braun ist Mitglied des Thinktank Think Austria, den Bundeskanzler Sebastian Kurz im Bundeskanzleramt eingerichtet hat. Laut einer Anfrage der SPÖ im Jahr 2017 soll Braun in Summe 70.000 Euro für die ÖVP gespendet haben. Zuvor hatte Braun die NEOS unterstützt (2014-2016) und insgesamt 125.000 Euro gespendet.

WKO wirbt mit Wirecard-Hilfspaket in der Conronakrise

Die Wirtschaftskammer Österreich hat ein Hilfspaket für Einzelhändler angeboten. Das Referat für Digitalisierung und Öffentlichkeitsarbeit will den Weg vom Offline- zum Online-Handel erleichtern. Angeboten wird Unterstützung bei der digitalen Transformation. Händler, die am Verkauf in einem eigenen Onlineshop interessiert sind, wird „SUPR by wirecard“ empfohlen. Die Website wurde nach unserem Bericht mittlerweile offline genommen.

Dabei stellte Wirecard ein Shopsystem inkl. Bezahllösung für den Einstieg in E-Commerce 6 Monate kostenlos zur Verfügung. Wirecard bot speziell für Restaurants und ähnliche Betriebe eine Lösung während des Shutdowns. Restaurants konnten nur Take-away oder Lieferservice anbieten und mussten strengen Maßnahmen folgen. Mit „Pay by Link“ bietet Wirecard eine digitale Zahlart, mit der Kunden direkt bei der Bestellung per Link bezahlen können.

Unternehmensgeschichte

1999 wird Wirecard in Aschenheim, einem Münchner Vorort, gegründet. 2002 kommt es fast zu einem jähen Ende von Wirecard. Zur Rettung wird der Österreicher Markus Braun (vormals KPMG) zum Geschäftsführer. Braun fusioniert Wirecard mit dem Münchner Konkurrenten Electronic Business Systems. 2005 wird Wirecard in die InfoGenie eingebracht und in Wirecard AG umbenannt. Durch die Übernahme der Notierung der nicht mehr existierenden Call-Center-Gruppe wird die Prüfung des Börsengangs vermieden. Das Unternehmen beschäftigt 323 Mitarbeiter und verwaltet Zahlungen für Online-Glücksspiele und Pornografie. 2006 steigt Wirecard ins Bankgeschäft ein, indem XCOM gekauft und dessen Namen in Wirecard Bank geändert wird. Die Wirecard Bank ist von Visa und Mastercard lizenziert, d.h. sie kann sowohl Kreditkarten ausstellen als auch Geld im Auftrag von (online-)Händlern verwalten. 2010 holt Braun seinen Schützling, den Österreicher Jan Marsalek als Chief Operating Officer (COO) an Board. 2011 bis 2014 sammelt Wirecard 500 Millionen Euro von Aktionären und geht auf Einkaufstour in Asien. 2015 folgt die Übernahme eines indischen Zahlungsdienstleisters. 2016 kauft Wirecard das Geschäft mit Prepaid-Zahlungskarten von Citigroup und tritt in den nordamerikanischen Markt ein. 2018 hat die Gruppe nach eigenen Angaben 5.000 Mitarbeiter, die Zahlungen für rund 250.000 Händler verarbeiten, Kredit- und Prepaid-Karten ausstellen und Technologie für kontaktlose Smartphone-Zahlungen bereitstellen. Im selben Jahr ersetzt Wirecard die Commerzbank im Dax 30-Index und ist Europas größtes Fintech-Unternehmen.

2020 befürchtet Wirecard die eigene Zahlungsunfähigkeit und der Dax-Konzern reicht einen Insolvenzantrag beim Amtsgericht München ein.

Vorwürfe

2008 weist der Leiter des deutschen Aktionärsverbandes auf Bilanzunregelmäßigkeiten bei Wirecard hin. EY (Ernst & Young) wird mit der Durchführung einer Sonderprüfung betraut und ersetzt 2009 einen kleinen Münchner Konzernprüfer. Die deutschen Behörden verfolgen zwei Männer im Zusammenhang mit den Beschuldigungen.

2015 berichtet J Capital Research, die Aktivitäten von Wirecard in ganz Asien sind geringer als behauptet. Wirecard wiederum behauptet, Short Seller hätten den Bericht finanziert. Short Seller oder Shorties ist die englische Bezeichnung für Leerverkäufer. Shorties setzen auf fallende Kurse bei Wertpapieren. Short Sellern wird häufig vorgeworfen durch gezielte Streuung von Fake-News Kurse zu drücken.

Auch 2015 beginnt die Financial Times (FT) mit der Veröffentlichung ihrer House of Wirecard-Reihe. FT wirft Fragen zu Inkonsistenzen in den Konten der Gruppe auf berichtet über ein Konzernbilanzloch i.H.v. 250 Mio. EUR. Woraufhin Wirecard mit rechtlichen Schritten droht und ein Consulting Unternehmen aus London mit PR-Tätigkeiten betraut. 2016 veröffentlichen anonyme Leerverkäufer unter dem Pseudonym Zatarra Vorwürfe im Zusammenhang mit Geldwäsche. Wirecard bestreitet alles und BaFin (deutsche Finanzaufsichtsbehörde) untersucht Zatarra auf angebliche Marktmanipulationen.

Im selben Jahr beginnt eine europäische private Ermittlungsagentur die FT und eine Gruppe von Londoner Finanziers genauer unter die Lupe zu nehmen. Journalisten, Forscher, Hedgefonds und Leerverkäufer, die Wirecard kritisieren, erhalten über Jahre Spear-Phishing E-Mails (gezielter E-Mail Betrugsversuch mit dem Ziel nicht autorisierten Zugriff auf vertrauliche Daten zu erhalten). Es ist unklar, wer hinter dieser Hacking-Kampagne steht. 2018 leitet das eigene juristische Personal der Wirecard Gruppe in Singapur eine Untersuchung gegen drei Finanzteam-Mitglieder ein. Zuvor hat ein interner Whistleblower Vorwürfe über einen betrügerischen Plan, Geld über Dritte nach Indien zu senden, erhoben (Round Tripping: Round-Trip-Transaktionen oder „Lazy Susans“ ist eine Form des Tauschhandels). 2019 publiziert FT regelmäßig Beiträge zum Thema Wirecard. 2020 kollabiert das Wirecard Konstrukt.

Um für Beruhigung unter den Wirecard Bank AG Kunden zu sorgen, sendet die Bank eine Stellungnahme an Händler. Darin wird darauf hingewiesen, dass die Wirecard Bank AG nicht Teil des Insolvenzverfahrens ist. Ein Sonderbeauftragter der BaFin wurde eingestellt und die Zahlungsfreigabe wurde von der Gruppe auf die Bank übertragen. Mittelabflüsse an die Wirecard AG und ihre Töchter wurden unterbunden. Es werden keine Ausfälle bei der Zahlungsabwicklung für Handelspartner erwartet.

Die Zukunft von Wirecard ist ungewiss. Vertrauen Online-Händler weiterhin auf die Services von Wirecard, oder ist der Zeitpunkt gekommen nach einem alternativen Anbieter zu suchen?

Update 07.07.2020:

Die WKO-Website (https://www.wko.at/site/handeldigital/wirecard-schenkt-ihnen-ihren-ersten-onlineshop.html) mit dem Wirecard-Angebot wurde mittlerweile offline genommen.

Quellen:

https://www.ft.com/content/284fb1ad-ddc0-45df-a075-0709b36868db

https://boerse.ard.de/boersenwissen/boersenlexikon/short-seller-100.html

https://www.computerweekly.com/de/definition/Spear-Phishing

https://www.beboon.com/de/

https://www.derbrutkasten.com/wirecard-skandal/

https://www.handelsblatt.com/finanzen/banken-versicherungen/haftbefehl-aktien-verkauft-kaution-gezahlt-ex-wirecard-chef-markus-braun-wieder-frei/25944944.html?ticket=ST-6139530-v5xOsgiLQ0JsImfAu1M5-ap6

https://www.wko.at/site/handeldigital/wirecard-schenkt-ihnen-ihren-ersten-onlineshop.html

https://orf.at/stories/3170689/?ref=articletext

https://www.wirecard.com/de/hilfspaket

https://at.trustpilot.com/review/www.wirecard.de

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