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Kommentar: Leben und Sterben in der Krise

Corona hat uns nach wie vor fest im Griff. Die neue Normalität ist keine Normalität, sondern für einige ein Lavieren zwischen plan- und rettungslos. Das hat aber nichts oder wenig mit uns zu tun. Die Planlosigkeit hat sich auf der Ebene der Regierenden und deren alles beherrschenden Vorgaben verfestigt. Die Situation erinnert an einen bekannten Buchtitel: Die Logik des Misslingens – Strategische Denken in komplexen Situationen.  

Wirtschaftsteil der Wirtschaftskammer

Am 20.07.2020 schlug ich den Wirtschaftsteil der Vorarlberger Nachrichten auf und schon strahlte mir eine Unternehmens- und Organisationsberater mit dem typischen Vorarlberger Namen Stefan Hagen entgegen. „Die Coronakrise stellt alle Probleme in Organisationen sofort scharf.“ Das ist als großes hervorgehobenes Zitat zu lesen. „Wenn ich als Unternehmer weiterkommen will, muss ich daraus lernen. Gerade ist die beste Zeit, um neue Wege zu gehen und Entwicklungen anzustoßen.“ So geht es weiter im Ton. Der angeführte Mann ist im übrigen nebenbei auch noch Vizepräsident der Wirtschaftskammer in Vorarlberg. Er sieht die Wirtschaftskammer als Anlaufstelle essentiell wichtig und „natürlich könne man Dinge auch kritisieren. Aber als Berater ist er es gewohnt, nicht defizitorientiert, sondern potentialorientiert zu arbeiten, so besagter Berater.“

Über Nacht – weg!

Jetzt möchte ich Sie liebe Leser*innen fragen, ob Sie diesen Zitaten aus Ihrer sehr persönlichen Sicht zustimmen würden? Können Sie – wunderbar und super – dann müssen sie nicht mehr weiterlesen – alles gut!

Wenn nein, dann wird es wohl daran liegen, dass dank dem SARS-CoV-2 Virus bei Ihnen so gar nichts mehr ist wie es bisher war. Sie sind vielleicht Eventveranstalter, ein Tourismusbetrieb im Städtetourismus, Social Media Agenturbesitzer oder Werbetreibende, Künstler, Musikerin, Betreiber*in einer Diskothek, Fremdenführer*in, Automotivzulieferer, Einzelhändler*in und so weiter. Für Sie legt Corona eines offen: Ihre Geschäftsgrundlage ist über Nacht nur mehr unwesentlich oder gar nicht mehr vorhanden. Neue Ufer zeichnen sich nur mangelhaft bis gar nicht ab, denn das Damoklesschwert der angekündigten 2. Welle schwebt über allem und jedem.

Corona ist nicht Ihre Schuld

Eines ist klar: Corona hat nichts mit Ihnen zu tun, aber Sie und Ihre Organisation sind vielleicht dennoch betroffen. Ihr Geschäftsmodell, dass Sie über Jahre mit Akribie und viel Verve auf- und ausgebaut haben, steht am Prüfstand, weil es nicht in die Zeit des Shutdowns, der Maskenpflicht und des Abstandhaltens passt. Es passt auch nicht in die Zeit der hyperventilierenden Pressekonferenzpolitik, deren Ankündigungen in der Realität und vor Gericht offensichtlich nicht immer halten. Noch einmal: Das alles hat nichts mit Ihrer Organisation zu tun und damit ist für Sie jetzt gar nicht die beste Zeit, um neue Wege zu gehen und Entwicklungen anzustoßen. Neue Wege beschreitet man als „ordentlicher Kaufmann“ dann, wenn die Voraussetzungen dafür gegeben sind. Ich meine, das ist jetzt für viele Betroffene kaum der Fall. Und dennoch ist es für viele von uns unumgänglich. Das ist die Realität.

Fahren auf Sicht oder planlos durch die Krise

Sie stehen mit dem Rücken zur Wand, weil Sie die letzten Jahre vielleicht viel investiert haben, ihre Mitarbeiter*innen noch immer in Kurzarbeit halten und dadurch real jeden Monat auf Kosten Ihres immer kleiner werdenden Eigenkapitals leben. Und den Härtefallfonds bekommen Sie nicht, aus welchen Gründen auch immer. Diese Woche hat unser Finanzminister festgestellt, dass viele Betrieb stark fremdfinanziert sind und über wenig Eigenkapital verfügen. Spannende Entwicklung, die offenbar völlig neu (für ihn) ist!  Diese Art der überraschenden Strategieentwicklung auf höchster politischer Ebene verunmöglicht derzeit jede ernstzunehmende unternehmerische Planung. Der Herr der Staatsfinanzen hat bekanntlich keinen Laptop und kann sich an 80(!) Vorgänge, zu denen er im Untersuchungsausschuß befragt wurde, gar nicht erinnern.

Voralberger Nachrichten vom 20.07.2020 – Wirtschaftsteil

Zuviel Pessimismus?

Der Kreditschutzverband bringt es auf den Punkt. Es gibt heuer bisher 25% zu wenig Konkurse. Das große Sterben der Unternehmen und die Arbeitslosigkeit wird Ende diesen Jahres und Anfang des nächsten Jahres ihren unrühmlichen Höhepunkt erleben. Warum ich so pessimistisch bin? Der internationale Kreditversicherer Euler Hermes rechnet mit einem globalen Firmensterben ab den Herbst 2020. Die Prognosen sind vernichtend: Bei der Zahl der Pleiten soll die USA bei plus 47 Prozent gegenüber der Messgröße von 2019 liegen. Daneben wird mit einer Insolvenzwelle in Brasilien (plus 32 Prozent) und China (plus 21 Prozent) gerechnet. Massiv betroffen seien auch viele europäische Staaten wie beispielsweise Portugal (plus 30 Prozent), die Niederlande (plus 29 Prozent), Spanien (plus 20 Prozent) oder Italien (plus 18 Prozent).

Viel Erfolg – den werden Sie brauchen

Sie sehen: Ein bisschen Umorganisation oder eine Optimierung wird Ihnen in vielen Fällen nicht helfen. Und ich kann Sie beruhigen. Momentan ist nicht die beste Zeit dafür, trotzdem sind viele Unternehmer*innen dazu gezwungen. Möglicherweise oder sehr wahrscheinlich sind in vielen Unternehmensbereichen radikale Schritte von Nöten. Eine der globalsten Industrien, die Luftfahrt, rechnet mit mindestens 5 Jahren, um das Vorkrisenniveau eventuell wieder zu erreichen. Das ist für EPU und auch für viele KMU ein verdammt langer Zeitraum. Zeit genug, um sich komplett neu aufzustellen. Die Frage dabei ist aber immer die gleiche: Wie finanziere ich das?

Ich kann Ihnen nur viel Erfolg wünschen Ihr Geschäftsmodell wieder in die Balance zu bringen und das Schlimmste anzuwenden. Und falls Sie zu den Gewinnern der Krise gehören. Nützen Sie die Gunst der Stunde und denken Sie mittel- und langfristig, denn noch ist nichts vorbei. Ein Blick in die USA oder nach Brasilien genügt, um das zu erkennen.

Ein Lichtblick…

Ach ja, eine gute Nachricht gibt es dieser Tage: Ein Impfstoff aus Oxford scheint ein erster zarter Lichtblick im Kampf gegen die Pandemie zu sein. Aber Vorsicht, noch sind wir mitten in der Krise. Und eine Schwalbe macht bekanntlich keinen Sommer. Bis zur weltweiten Impfkampagne ist es noch ein weiter, zäher Weg. Darauf alle Hoffung zu bauen, das erscheint mir unrealistisch.

Bleiben Sie tough!

Vielleicht lernt Österreich ja dazu: Ein Konkurs ist letztlich keine Katastrophe, sondern eine wichtige Erfahrung. In den USA muss jedes Startup zumindest ein paar pleiteerprobte Gründer an Bord haben. Sonst wird es nichts mit Seed-Financing und Investorenrunden. Welche Unkultur – kann ich als gelernter Österreicher nur sagen! 😉 Aber vielleicht wird bald jeder einen oder eine kennen, die Konkurs anmelden musste. Die „neue“ Normalität könnte auch ein paar Vorteile haben – wenn auch die von vielen bitteren Erfahrungen.

 

 

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